Der Anfang meiner Essstörung

Wie alles begann

Die Geschichte meiner Essstörung begann als ich 6 Jahre alt war und sich meine Eltern trennten. Wir lebten damals in einem kleinen Dorf, in dem sich alle kannte und in diesem Dorf, war ich das einzige Scheidungskind. Es war also nicht nur der Schmerz, der Trennung meiner Eltern, der mich zu Boden warf, sondern auch die vielen gemeinen Kommentare der anderen Kinder, die ich jeden Tag in der Schule gesagt bekam. Ich fühlte mich einsam, alleingelassen, nicht dazugehörig und komisch. Als ob ich nicht in diese Welt passte. Um all diese Emotionen nicht spüren zu müssen, begann ich zu essen. Warum ich das tat, war mir damals aber natürlich nicht klar.

Essen wurde mein Freund. Essen lachte mich nicht aus, weil ich getrennte Eltern hatte, Essen lenkte mich immer ab von meiner Traurigkeit und Essen war auch immer da. Mit der Zeit aß ich immer mehr. Viel Schokolade und Gummibärchen, die mir die Süße, die ich nicht spürte, zurückgaben. Ich nahm zu. Sehr viel. Immer mehr, bis ich mit 12 Jahren über die 100 Kilo kam. Mittlerweile waren die gemeinen Kommentare der Kinder nicht mehr darüber, dass ich ein Scheidungskind war, sondern, dass ich deutlich mehr wog als die anderen. Des Weiteren hatte auch mein Vater wieder geheiratet und seine neue Frau tat alles, um mich spüren zu lassen, dass ich in dieser neuen Familie nicht willkommen war.

Wenn Kuren ihren Zweck verfehlen

Mit 13 ging ich dann auf eine Kur, auf der ich auf einem gesunden Weg ein paar Kilos abnahm, doch auch dort beschäftigte sich niemand mit meinem Inneren. Es ging die ganze Zeit nur darum abzunehmen, denn „Wenn du schlank bist“, hörte ich alle sagen „dann hast du ein besseres Leben“. Ich nahm also ab und hatte, einst zu Hause zurück, weniger Binge eating Anfälle, machte auch ein bisschen Sport und es lief eigentlich ganz gut, bis auf einmal mein Vater überraschend tödlich verunglückte. Eine Welt brach für mich zusammen und wieder einmal hatte ich keine Kontrolle auf die äußeren Geschehnisse und erst recht keine Tools, um mit meinen Emotionen, die mich überfluteten, umgehen zu können. Essen hatte mir immer geholfen und tat es auch jetzt. Doch was hatten sie immer gesagt „Wenn du schlank bist, dann hast du ein besseres Leben“. Ich wollte also nicht wieder all die Kilos, die ich bereits abgenommen hatte, zunehmen. Ich wollte endlich schlank sein, Nein, noch mehr, ich wollte dünn sein!! Dünner als alle anderen! Ich wollte es allen zeigen, vor allem der Frau meines Vaters, die mich jahrelang mit versteckten, gehässigen Kommentaren gemobbt hatte.

Der Anfang meiner Anorexie

Ich begann also Tagebuch zu führen und akribisch aufzuschreiben, was ich aß. Meine Portionen wurden dabei immer kleiner und nach Tagen, an denen ich gar nichts gegessen hatte, war ich ganz besonders stolz auf mich und meine Fähigkeit zu verzichten. Ich fühlte mich den anderen überlegen, da ich mich zusammenreißen konnte und nicht essen musste. So zog ich das durch für fast zwei Jahre und nahm ziemlich schnell ab. Ich bekam viele Komplimente und Aufmerksamkeit, wie ich sie noch nie vorher bekommen hatte, doch die Sehnsucht nach Essen wurde immer größer. Tag für Tag wurde es anstrengender nicht zu essen und ich konnte an nichts anderes mehr denken außer Essen. Ich kaufte mir unzählige Kochbücher, die ich täglich durchblätterte und sah mir verschiedene Gerichte an. Ich ging täglich in verschiedenen Supermärkten an den Süßigkeitregalen vorbei und irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und kaufte eine Riesenladung Essen.

Von Anorexie in Bulimie

Ich erinnere mich an meinen aller ersten Fressanfall. Es war eine große Pizza, 5 Kinder Buenos und eine Schokoladenpuddingschale. Für mich nach zwei Jahren, in denen ich nur kleinste Portionen gegessen hatte, erschien das eine riesen Menge. Dass ich später einmal das Vierfache davon essen und kotzen würde, das hätte ich mir damals nicht vorstellen können. Ich aß sehr schnell, erkannte kaum, wie die einzelnen Nuancen schmeckten, stopfte das Essen einfach in mich hinein und vergaß alles um mich herum. Danach fühlte ich mich schrecklich voll, ging ins Bad und übergab mich zum ersten Mal. Es war anstrengend und tat weh, Tränen liefen mir über mein Gesicht, der Geruch war schrecklich, doch die Gedanken, an all die Menschen, die mir immer wieder weh getan hatten, die gemeine und schreckliche Dinge zu mir gesagt hatten, die mich ausgelacht hatten, diese Gedanken waren stärker als all der Ekel und die Anstrengung und der physische Schmerz.

Wie die Bulimie sich immer mehr verankterte

Ich begann mich mehrmals die Woche zu übergeben und trotz der Anstrengung fühlte es sich an wie eine Superpower. Ich konnte endlich wieder essen, ohne dabei zuzunehmen. Vor allem zu Beginn meiner Bulimie dachte ich, dass ich alles unter Kontrolle hätte und jederzeit aufhören könnte, wenn ich nur wollen würde. „Wenn ich dünn genug bin“, sagte ich mir immer wieder „dann höre ich auf“. Doch dünn genug wurde ich, für mich, nie, auch nicht als irgendwann die Hälfte meines früheren Gewichts abgenommen hatte. Irgendwann wollte ich nicht mehr brechen. Ich wollte einfach wieder ganz normal essen können. Doch es klappte nicht.

Ich wechselte Wohnorte, ich wechselte Freunde, ich wechselte Studien, ich wechselte vor allem Partner, immer in der Hoffnung, dass bei all den Wechseln die Essstörung nicht hinterherkäme, doch sie folgte mir auf Schritt und Tritt, denn alles, was ich änderte, war das Außen. Wohin ich aber nie hinschaute, war mein Inneres und das tiefe Loch in mir, das ich seit mehr knapp 20 Jahren versuchte mit Essen zu füllen.

So ging das jahrelang weiter, bis mein Körper mir irgendwann ein klares Signal gab, dass er nicht mehr konnte. Er hatte mir in den vergangenen Jahren bereits öfter versucht mitzuteilen, dass es genug war, durch Periodenausfall, Zahnschmelzverlust, und mehre Momente, in denen ich mein Bewusstsein verlor, doch all das hatte nicht gereicht, damit ich endlich zuhörte. Es kam zu einem Erlebnis das alles veränderte.

Lese im nächsten Artikel was passieren musste, damit ich endlich aufwachte.

Bis dahin alles Liebe Julia

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Der Moment, der alles veränderte