Die ersten Monate nach Beendigung meiner 20 - jährigen Essstörung
Die Zeit nach meiner Entscheidung die Essstörung hinter mir zu lassen, war ziemlich turbulent. Nach 20 Jahren Essstörung hatte ich es endlich geschafft den ersten großen Schritt zu gehen und aß endlich wieder, ohne mich gleich danach zu übergeben, Abführmittel zu nehmen, Fasttage einzulegen oder exzessiven Sport zu machen.
Die ersten zwei Monate
Zu Beginn lief es trotzdem noch sehr kontrolliert ab. Nur Gemüse, wenig Kohlenhydrate, wenig Fette, aber immerhin, ich aß zum ersten Mal, ohne es gleich danach wieder loszuwerden. Auch dass ich zunahm, machte mir anfangs nichts aus und ich konnte relativ gut damit umgehen. Nach zwei Monaten, wollte ich einen Schritt weiter gehen und hörte auf mich zu limitieren und all das zu essen, auf was ich Lust hatte.
Alles essen was ich wollte
Es fühlte sich großartig an! Ich konnte Freunde treffen und mich wirklich auf das konzentrieren, was sie sagten, ohne Gedanken zu haben, wie und wann ich schnell und heimlich wieder brechen könnte. Ich konnte mich generell viel besser konzentrieren, meine Periode kam zurück, meine Haare wurden kräftiger, meine Haut fühlte sich nicht mehr so ausgetrocknet an, meine Knieschmerzen stoppten und ich spürte plötzlich viel mehr Kraft in meinem Körper.
Die Zunahme
Trotz der großartigen Veränderung, die in meinem Körper passierte, nahm ich auch seine äußere Veränderung immer mehr wahr, denn er hörte nicht auf zuzunehmen. Meine alte Kleidung wurde immer enger und ich hatte kaum noch passende Sachen. Ich fing also an Sport zu machen. Viel Sport. Jeden Tag und manchmal auch zweimal täglich. Je mehr ich zunahm, desto mehr zwang ich mich zu erschöpfenden Workouts und Sporteinheiten. Ich hatte zudem noch einen Mann kennengelernt, mit dem ich diese Sportsucht intensivierte und der ein ziemlich toxisches Verhalten hatte, so dass ich noch mehr Angst vor einer Zunahme bekam.
Suchtwechsel und zerstörende Gedanken
Ich rutschte von einer Sucht in die andere, nahm aber trotzdem weiter zu. Ich begann Panikattacken zu bekommen und starke Weinanfälle, wenn ich mich auf Fotos oder im Spiegel sah. Ich zog mich komplett zurück und isolierte mich zu Hause. Ich fühlte mich so schrecklich in mir selbst, doch trotz alledem wollte ich auf keinen Fall dorthin zurück, wo ich herkam. Gleichzeitig wurde die Beziehung, in der ich mich befand, emotional immer anstrengender und Kräfte zehrender. Wie so oft in meiner Vergangenheit tat ich alles, um diesem Mann zu gefallen und verlor mich dabei, wie so oft in der Vergangenheit, immer mehr.
Meine täglichen Gedanken waren ungefähr so
„Er wird mich verlassen, so dick wie ich bin”
„Männer wollen keine dicken Frauen, das weiß ich doch, mein Papa hat mich doch auch verlassen, weil ich dick war”
„Ich muss wieder dünn sein“
„Ich kann nur geliebt werden, wenn ich dünn bin“
„Niemand will mich, wenn ich dick bin“.
Ich lebte zwar meine Essstörung nicht in Symptomen aus, aber in meinem Kopf wüstete sie noch immer stark und unberechenbar herum.
Ich dachte, dass mich Menschen mein ganzes Leben lang nur geliebt hatten, weil ich dünn war, da ich mich in all den Jahren einzig und allein durch meinen Körper identifiziert hatte, so dass ich jetzt überzeugt davon war, mit einem fülligeren Körper nicht mehr geliebt werden zu können. So zog sich das Monate hin, bis meine Würde eines Tages so auf den Boden klatschte, dass ich endlich, sehr schmerzhaft, wach wurde.
Eine weitere Veränderung
Ich schaffte es die Beziehung zu beenden, brach den Kontakt zu meinem Exfreund völlig ab und schwor mir, dass ich endlich lernen wollen würde mich und meinen Körper zu lieben, ohne immer verzweifelt nach der Liebe und Akzeptanz im Außen, Essen und in Männern zu suchen. Ich hatte bereits 3 Jahre vorher begonnen mich mit Persönlichkeitsentwicklung zu beschäftigen, doch jetzt tauchte ich noch tiefer ein.
Mein persönlicher Vertrag
Ich schrieb mir selbst einen Vertrag, in dem ich mir versprach, mich für die nächsten Monate komplett auf mich zu konzentrieren und herauszufinden, was an mir liebenswert ist und für was ich mich mag. Zudem traf eine erste schwere Entscheidung, für eine Weile keinen Sport mehr zu machen. Ich wollte lernen meinem Körper absolut zu vertrauen und seine Signale besser zu verstehen, ohne immer das Gefühl haben zu müssen, mir mit Sport mein Essen verdienen zu müssen.
Was half mir
Ich begann verschiedene Coachings und tägliche Körperakzeptanz Übungen auszuprobieren. Ich schrieb meine Gedanken auf, was mir half bestimmte, festgefahrene Gedankenmuster zu erkennen und diese zu verändern. Ich hängte mein Zimmer voll mit bestärkenden Sprüchen und Bildern, die mich inspirierten und die ich täglich lesen konnte. Ich überlegte mir, was mich interessiert und was ich in meiner Freizeit gerne öfter machen würde, und schrieb mir eine Liste mit all den Dingen, die ich wirklich gerne erleben würde und wobei das Aussehen meines Körpers keine Rolle spielt.
Erkenntnis
Ich lernte mich für meine Persönlichkeit zu mögen und nicht mehr meinen Körper dafür zu verwenden, so wie ich das fast mein ganzes Leben getan hatte, und ich konzentrierte mich zum allerersten Mal nur auf mich und mein Inneres. Dabei merkte ich immer mehr, dass ich mir all die Anerkennung und Bestätigung, die ich so lange in anderen Menschen gesuchte hatte, selbst geben kann.
Es war ein anstrengender Weg doch wenn ich zurückschaue bin ich für jeden einzelnen Abschnitt dankbar, denn ohne die freudigen Höhen, aber auch die verzweifelten Tiefen, hätte ich niemals so viel über mich und mein Verhalten gelernt.
Ich bin tief überzeugt davon, dass jede und jeder einen Heilungsweg gehen erfolgreich gehen kann. Es werden Tiefen kommen, aber auch unglaublich freie Höhen. Wenn du diesen Weg nicht alleine gehen willst, noch Angst hast ihn zu beschreiten oder schon ein großes Stück geschafft hast, aber gerade für die nächste Etappe Motivation und Unterstützung brauchst, melde dich bei mir und wir finden gemeinsam für dich die beste Möglichkeit deiner Heilung näher zu kommen.
Bis dahin alles Liebe, Mut und Kraft Julia