Warum 'Du bist zu viel' das größte Kompliment ist

Du bist zu viel

Das ist ein Satz, den ich mir lange anhören durfte und der auch bei einigen meiner Coachees immer mal wieder auftaucht.

Vielleicht hast du das „Du bist zu viel“ Gefühl schon von klein auf in deiner Familie gespürt, vielleicht wurdest du in der Schule gemobbt, vielleicht kennst du es aus Beziehungen oder vielleicht gab es einen Menschen, dem du eigentlich tief vertraut hast, der immer öfter in Auseinandersetzungen meinte, dass du zu viel seist. Wer immer es auch war, er/sie hat eine tiefe Wunde in dir hinterlassen. Die Wunde, dass du so wie du bist nicht richtig bist. Die Wunde, dass das, was dich eigentlich so besonders macht, eigentlich falsch ist.

Zu viel sein -  Was bedeutet das eigentlich ?

  • Zu viel sein heißt, Antworten finden zu wollen.

  • Zu viel sein heißt, sich nicht mit einem lapidaren „Ist doch alles ok“ Satz abspeisen zu lassen.

  • Zu viel sein heißt, sich nicht zufriedenzugeben mit einem „aber das haben wir immer so gemacht.“

  • Zu viel sein heißt, tiefer gehen zu wollen.

  • Zu viel sein heißt, dass der Mensch, dem du gerade „zu viel“ bist, selbst überfordert ist.

 Sowohl ich als auch die meisten meiner Coachees haben die Erfahrung „zu viel“ zu sein dann gemacht, wenn sie hinter die Oberfläche schauen wollten. Wenn sie tiefe Zusammenhänge verstehen wollten, wenn sie Menschen, von denen sie sich nicht gut behandelt gefühlt haben, dies mitgeteilt haben. Wenn sie in einem Streit verstehen wollten, was wirklich die Ursache ist.

In genau diesen Situationen haben sie ganz oft gehört

  • Du bist zu viel.

  • Du bist zu anstrengend.

  • Du fragst zu viel.

  • Du erwartest zu viel.

Falls du ein Mensch bist, der sich diese oder ähnliche Sätze schon mehrmals in seinem Leben anhören musste, lass mich diese Sätze für dich übersetzten.

Du bist zu viel

Ich kann gerade nicht damit umgehen, dass du tiefer gehen willst, und will mich damit nicht auseinandersetzten.

Du bist zu anstrengend

Ich bin überfordert, meinen eigenen Anteil an dem Streit zu reflektieren und mich mit meinen Schwächen und Triggern auseinanderzusetzten.

Du fragst zu viel

Deine Fragen führen dazu, dass ich entweder mich und mein Verhalten hinterfragen muss und das will ich nicht. Es ist leichter dir die Schuld zu geben oder, dass ich mir eingestehen muss, dass ich die Antwort nicht weiß und das gibt mir das Gefühl, dass ich dumm bin.

Du erwartest immer zu viel

(Mein absoluter Favorit ;) )

Dieser Satz hat mehrere Übersetzungen, je nach Situation:

 1.     In MEINER Welt ist das, was du willst zu viel. In MEINER Welt, erwartet man diese Dinge, die du willst, nicht. Wenn das in meiner Welt so ist, dann muss das auch in deiner so sein.

2.     Ich selbst erwarte nicht so viel wie du und gebe mich damit zufrieden. Dein Mehr-erwarten spiegelt mir, dass man mehr erwarten darf und stört mich, weil ich versuche mich mit dem Minimum zufrieden zu geben und merke, dass es mich eigentlich nicht zufrieden macht.

3.     Deine „Erwartungen“ strengen mich an, weil ich das Gefühl habe sie nicht erfüllen zu können und das löst in mir das Gefühl aus nicht gut genug zu sein.

Du merkst es….

Jede „Du bist zu viel“ Anschuldigung hat im Endeffekt nicht wirklich viel mit dir zu tun, sondern mit der Wahrnehmung der anderen Person und ihrer Bereitschaft die eigenen Verhaltensmuster zu reflektieren und eventuelle unangenehme Gefühle auszuhalten.

Die Bereitschaft unangenehme Gefühle bedeutet sich zu fragen:

  • Was ist es, was sich gerade nicht gut anfühlt?

  • Wieso spüre ich diesen Druck, Stress, Wut, Frustration ect.?

  • Was denke ich über die Situation?

  • Kenne ich das von irgendwoher?

  • Könnte es sein, dass ich mich falsch verhalten habe?

  • Wenn ja, warum habe ich Angst das zuzugeben?

  • Was würde passieren, wenn ich zugeben würde, mich falsch verhalten zu haben?

Sich diese Fragen zu stellen, ist nicht leicht. Was aber leicht ist, ist anderen vorzuwerfen „zu viel“ zu sein. Und das fühlt sich nicht gut an.

Leider kannst du an dem Verhalten der anderen Personen nichts ändern. Was du aber ändern kannst, ist dein eigene Einstellung. Dein Wissen, dass zu viel sein nicht bedeutet falsch zu sein, sondern dass es bedeutet, tiefer gehen und hinter die Fassade blicken zu wollen und dafür brauchst du dich nicht schlecht fühlen oder schämen, dafür kannst du verdammt stolz auf dich sein.

Du bist zu viel! Yes! Weil du tiefer gehen willst! Weil du hinter die Fassade blicken willst! Weil du verstehen willst! Weil du mehr willst! Weil du bereit bist, dich unangenehmen Gefühlen zu stellen, um dich dafür besser zu fühlen.

Es ist nicht immer leicht sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, aber es ist’s so wert!

 Alles Liebe

Julia

 

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